Die Verordnung über Fahrgastrechte im Bahnverkehr und ihre andauernde Novellierung

Die Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgeste im Eisenbahnverkehr brachte einige allgemeingültige Mindestregelungen für alle mit sich, die in Europa mit dem Zug verreisen. Sie enthält ein spezielles Kapitel über die Rechte von Fahrgesten mit Behinderungen sowie Fahrgesten mit eingeschränkter Mobilität.

In ihrem Bericht über die Umsetzung der Verordnung aus dem Jahr 2013 hatte die Europäische Kommission bestimmte Problembereiche hervorgehoben, die auch von einer Folgenabschätzung im Jahr 2016/2017 bestätigt wurden. 2017 legte die Kommission einen Vorschlag (COM/2017/0548 final - 2017/0237 (COD)) für eine modernisierte Verordnung vor, um eben die Rechte von Fahrgästen mit Behinderungen und eingeschränkter Mobilität deutlich zu stärken.

Dieser Artikel beschreibt die wichtigsten Elemente der bestehenden Verordnung und der vorgeschlagenen Neuerung aus der Sicht blinder und sehbehinderter Menschen.

Die Rechte und Pflichten nach bestehender Verordnung

Bahngesellschaften und Bahnbetreiber müssen gewährleisten, dass Blinde und Sehbehinderte beim Fahrkartenkauf oder einer Reservierung ein Recht auf Zugang zum Verkehrswesen ohne Diskriminierung und Zusatzkosten genießen. Fahrkartenverkäufer oder Angestellte, die eine Reservierung durchführen, dürfen die Leistung nur dann ablehnen oder die Begleitung eines Assistenten verlangen, wenn dies zur Einhaltung ihrer Richtlinien zur Beförderung ohne Diskriminierung erforderlich ist. In einem solchen Fall müssen sie den betroffenen Reisenden auf Anfrage innerhalb von fünf Werktagen schriftlich über die Gründe informieren. Auch müssen sie sämtliche Anstrengungen unternehmen, dem Fahrgast angemessene Alternativvorschläge zur Beförderung zu unterbreiten, die seine jeweiligen Bedürfnisse nach Barrierefreiheit berücksichtigen.

Auf Anfrage müssen Bahngesellschaften, Fahrkartenverkäufer oder Reiseveranstalter Informationen zur Barrierefreiheit der Dienstleistungen und Züge der jeweiligen Gesellschaft zur Verfügung stellen.
Bahnbetreiber und oder –Gesellschaften müssen Assistenzleistungen unentgeltlich anbieten, insbesondere beim Ein- und Aussteigen aus Zügen an Bahnhöfen, an denen Personal verfügbar ist und bei der Benutzung von Leistungen, die für alle Fahrgäste an Bord eines Zuges angeboten werden.

Der Blinde/Sehbehinderte muss sich zur vereinbarten Zeit und am von der Bahngesellschaft oder dem Bahnbetreiber Vereinbarten Treffpunkt einfinden, der die Assistenzleistung erbringt. Die Zeit darf nicht länger als 60 Minuten vor der angegebenen Abfahrtszeit liegen, es sei denn, alle Fahrgäste werden gebeten, sich dann einzufinden. Wird keine konkrete Zeit vereinbart, liegt der Zeitrahmen bei mindestens 30 Minuten vor der angegebenen Abfahrts- oder Abfertigungszeit. Der Bahnbetreiber oder autorisiertes Personal müssen Punkte innerhalb und außerhalb des Bahnhofs festlegen, an denen man seine Ankunft melden und seinen Assistenzbedarf anmelden muss.

Sollte ein Bahnhof nicht über Personal verfügen oder es keinen Zugbegleiter an Bord geben, müssen Bahnbetreiber und oder Bahngesellschaften sämtliche angemessene Anstrengungen unternehmen, damit Blinde und Sehbehinderte mit dem Zug fahren können. Auch müssen sie gewährleisten, dass es leicht zugängliche Informationen über die nächsten Bahnhöfe gibt, die mit Personal besetzt sind und an denen eine direkte Assistenz möglich ist.

Assistenz wird unter der Voraussetzung gewährt, dass die Bahngesellschaft, der Bahnbetreiber, der Fahrkartenverkäufer oder Reiseveranstalter, bei dem die Fahrkarte erworben wurde, mindestens 48 Stunden vor Abfahrt über die Notwendigkeit des Blinden oder Sehbehinderten für eine solche informiert wird. Bei mehrteiligen Reisen (z. B. Reisen, die sich aus verschiedenen Teilen zusammensetzen oder wiederkehrenden Reisen), genügt lediglich eine einzige Benachrichtigung des Fahrgasts, vorausgesetzt, er gibt ausreichend Auskunft über die Zeiten von Folgefahrten.

Entschädigungen für Verspätungen oder Streichungen (die für alle Reisenden gleichermaßen gelten) ausgenommen, haften Bahngesellschaften und -Betreiber für sämtliche durch sie verursachten Schäden an oder Verluste von Mobilitätshilfen oder Assistenzhunden.

Verbesserungsvorschläge der Kommission

Der Vorschlag der Kommission (im folgenden „Vorschlag“ genannt) erweitert den Rahmen einiger bereits bestehender Richtlinien:

  • Recht auf Zugang zu Transport: Darunter würden auch persönliche Assistenz und Führhunde fallen.
  • Informationen zu Barrierefreiheit: Unabhängig davon, ob eine vertragliche Vereinbarung mit dem Fahrgast besteht, müssten Bahnbetreiber auch gewährleisten, das Informationen über die Barrierefreiheit des Bahnhofs und dessen Dienstleistungen verfügbar sind.

Außerdem bringt der Vorschlag eine neue Verpflichtung mit sich. Bahnbetreiber und –Gesellschaften müssten gewährleisten, ihre Angestellten, insbesondere diejenigen, die direkt mit Reisenden zu tun haben und hier insbesondere Angestellte, die direkte Hilfeleistungen anbieten, geeignete Schulungsmaßnahmen im Umgang mit Behinderungen absolviert haben, um den Bedürfnissen Blinder und Sehbehinderter gerecht zu werden.

Darüber hinaus stellt der Vorschlag einige weitere Punkte klar, u. a.:

  • Dass die zwingend notwendigen Informationen zu Barrierefreiheit, Assistenz und ein eventuelles Fehlen an nichtbesetzten Bahnhöfen in barrierefreien Formaten verfügbar sein müssen,
  • Dass Assistenz zu jederzeit verfügbar sein muss, zu der Züge fahren (einschließlich Nachtdiensten oder am Wochenende) und nicht auf normale Arbeitszeiten beschränkt sein darf,
  • Dass Bahnunternehmen und –Betreiber an besetzten Bahnhöfen auch dann sämtliche Anstrengungen unternehmen müssen, Assistenz zu leisten, damit der Sehbehinderte verreisen kann, wenn eine vorige Benachrichtigung nicht erfolgt ist. Dies wäre nicht im Einklang mit der Richtlinie, Assistenzleistungen nur auf solche Fälle zu beschränken, egal ob in der Praxis oder vertraglich vereinbart, in denen eine Vorabinformation erfolgt ist,
  • Dass es bei mehreren Fahrten in der Verantwortung der Bahngesellschaft, des Bahnbetreibers, Fahrkartenverkäufers oder Reiseveranstalters liegt, der die Benachrichtigung erhält, diese an sämtliche an der Fahrt beteiligten Bahngesellschaften und –Betreiber weiterzugeben,
  • Dass Entschädigungen sich nach den Kosten einer Reparatur oder eines Ersatzes der beschädigten oder verlorenen Mobilitätshilfe richten und sämtliche Anstrengungen unternommen werden müssen, vorübergehenden Ersatz zu leisten, bis die Entschädigung gezahlt wurde.

Leider hat die Kommission es versäumt, folgende zwei Klarstellungen im Text unterzubringen, die bereits in ihren Leitlinien aus 2015 (C(2015) 4089 final) enthalten waren, nämlich:

  • Dass Bahnunternehmen und Bahnbetreiber von den Fahrgästen nicht verlangen dürfen, einen Behindertenausweis oder sonstige Nachweise über ihre Behinderung vorzulegen, damit diese Assistenzleistungen an Bahnhöfen oder an Bord des Zuges in Anspruch nehmen können,
  • Dass das Buchen von Assistenzleistungen ebenfalls nicht mit weiteren Kosten verbunden sein darf, etwa durch die Nutzung gebührenfreier Hotlines, ebenso wie dies beim Erbringen der Assistenzleistung der Fall ist.

Was aber viel wichtiger ist, die Kommission hat die Benachrichtigungszeit für Assistenz an Bahnhöfen nicht gestrichen und so das Prinzip “turn-up-and-go – hingehen und Abfahren” auch nicht eingeführt.

Der aktuelle Gesetzesstand

Der Vorschlag der Kommission wird derzeit vom EU-Parlament und Rat geprüft (also den Regierungsvertretern der EU-Mitgliedstaaten) und muss von beiden Institutionen gemeinsam abgesegnet werden, um angenommen zu werden und schließlich in Kraft zu treten. Zum Zeitpunkt der Redaktion dieses Artikels musste der federführende parlamentarische Ausschuss (Verkehr und Fremdenverkehr) noch seine Position einnehmen, bevor sie zur Abstimmung im Plenum gebracht werden konnte, und der Rat erörterte seine eigene Position ebenfalls.

Probleme rundum den vorgeschlagenen Text – Fragen an Marie Denninghaus, Verantwortliche für Verkehrs- und Mobilitätsfragen beim Europäischen Behindertenforum

1.    Was sind die Probleme, die das EDF in Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Neuerung der Verordnung sieht?

Das EDF begrüßt die Neuerung der Verordnung, da sie im Einklang mit der vorigen Revision steht, die einige zu verbessernde Mängel aufwies. Insbesondere freut uns, dass die Kommission einige wichtige Punkte in Bezug auf Menschen mit Behinderung aufgenommen hat, und wir unterstützen insbesondere die Einführung folgender Punkte:
•    Es wurde ein klarer Bezug zur Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen (UN-BRK) hergestellt
•    Es gibt keine Ausnahmen für behinderungsbedingte Leistungen (Art. 2)
•    Sind Fahrkartenautomaten nicht barrierefrei, können Fahrkarten ohne Aufpreis im Zug erworben werden (Art. 10)
•    Umleitungen und alternative Verkehrsdienstleistungen müssen barrierefrei sein (Art. 16)
•    Für größere Bahnhöfe muss es Notfallpläne geben, die Menschen mit Behinderungen berücksichtigen (Art. 18)
•    Eine Assistenz muss zu allen Zeiten gegeben sein, zu denen Züge verkehren (Art. 23 – 24)
•    Angestellte müssen in behinderungsbedingten Themen geschult werden (Art. 26)
•    Die Kompetenzen nationaler Durchsetzungsstellen sind klarer definiert und beinhalten spezielle Aufgaben (Kapitel VII)
Wir bedauern jedoch außerordentlich, dass:
•    Die 48-Stunden-Regel zur Buchung einer Assistenz verbleibt (Art. 24). Das EDF hat sich durch aktive Lobbyarbeit für die Einführung des Prinzips “Turn-up-and-go – hingehen und abfahren” eingesetzt, also die Idee, dass man einfach am Bahnhof ankommen kann, ohne eine Assistenz im Voraus buchen zu müssen. Menschen mit Behinderungen sollte es im Einklang mit der UN-BRK ermöglicht werden, gleichberechtigt mit anderen zu reisen.
•    Es wurde nicht klargestellt, dass die Buchung einer Assistenz kostenfrei erfolgen muss (Art. 22). In einigen Ländern wird eine Assistenz beispielsweise über eine kostenpflichtige Servicenummer beauftragt, was eine Diskriminierung darstellt.
•    Die Anforderungen an Mitarbeiterschulungen sind nicht genauer festgelegt. Wir sind der Ansicht, dass es einen eindeutigen Schulungsplan geben muss, in dem festgelegt wird, worin die Mitarbeiter geschult werden müssen, und Menschen mit Behinderungen sollten bei diesen Schulungen einbezogen werden. Einen derartigen Schulungsplan gibt es bereits für Flugreisen, nämlich den sogenannten “Doc 30” der Europäischen Zivilluftfahrt-Konferenz (ECAC). Doc 30 ist zwar nicht rechtsverbindlich, wird jedoch als Referenz genutzt und ist größtenteils anerkannt.
•    Die Durchsetzungsmechanismen nationaler Durchsetzungsstellen (NEBs) für Beschwerden von Einzelpersonen wurden nicht besonders gestärkt und/oder harmonisiert. Bei uns im EDF gehen viele Beschwerden darüber ein, dass es für Einzelpersonen schwierig sei, Regressansprüche geltend zu machen und Beschwerde einzulegen, wenn Rechte verletzt wurden. In jedem Mitgliedstaat gibt es zwar ausgewiesene Behörden, wo Beschwerden vorgebracht werden können, diese sind jedoch oft unterbesetzt, verfügen nicht über die nötigen Ressourcen und über die notwendigen Kompetenzen, um gegen Bahngesellschaften vorgehen zu können. Wir fordern, dass die Kompetenzen stärker sind und EU-weit harmonisiert werden, damit alle Fahrgäste mit Behinderungen ihre Rechte durchsetzen können, ohne vor Gericht zu gehen und die damit einhergehenden Kosten zu tragen, sich dem Stress auszusetzen und einen Zeitverlust hinnehmen zu müssen.

2.    Wie steht es um das Zusammenspiel zwischen der Verordnung und dem Entwurf zum Europäischen Barrierefreiheitsgesetz?

Es gibt keine Überschneidungen mit dem Vorschlag zum Europäischen Barrierefreiheitsgesetz (EAA). Beide Vorschläge befassen sich zwar mit Verkehrsfragen, die Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr befassen sich jedoch mit den Rechten als Fahrgast, wobei es hier um Assistenz geht, während sich das EAA auf die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen konzentriert. Das EAA könnte beispielsweise vorschreiben, dass alle Webseiten und mobilen Anwendungen von Bahngesellschaften barrierefrei werden und Fahrkartenautomaten und andere SB-Terminals an Bahnhöfen ebenfalls barrierefrei werden müssen. Daher ergänzen sich die beiden Vorschläge gegenseitig und sind beide gleichwertig.

3.    Gibt es andere Probleme im Hinblick auf den Bahnverkehr, die nicht durch die Verordnung abgedeckt werden und für die Sie sich Verbesserungen wünschen würden/die angegangen werden sollten?

Es gibt in der Tat viele offene Fragen. Der Europäische Behindertenausweis ist eine davon, da er nicht unbedingt den Verkehr mit abdeckt. Es obliegt eigentlich jedem teilnehmenden Mitgliedstaat (derzeit sind das Belgien, Zypern, Estland, Finnland, Italien, Malta, Rumänien und Slowenien) festzulegen, ob er den Verkehr mit einbezieht und die Vergünstigungen durch andere Mitgliedstaaten anerkennt – uns ist praktisch kein teilnehmender Mitgliedstaat bekannt, der den Verkehr einschließt. Zunächst wünschen wir uns, dass alle EU-Mitgliedstaaten am Behindertenausweis teilnehmen und dann im nächsten Schritt die gegenseitige Anerkennung von Verkehrsvergünstigungen zur Pflicht machen.

Ein weiteres, auf EU-Ebene wichtiges Thema ist die Verordnung 1300/2014 über die Zugänglichkeit von Bahnhöfen, kurz “TSI-PRM” (technische Spezifikationen zur Eisenbahninteroperabilität in der Europäischen Union für Menschen mit Behinderungen und Menschen mit eingeschränkter Mobilität). Dies ist zwar ein gutes Beispiel dafür, wie durch EU-Verordnungen Züge und Bahnhöfe barrierefreier geworden sind, und wir sähen derartige Gesetze auch für andere Verkehrsarten gerne, es gibt jedoch immer noch einige Mängel: Beispielsweise beinhalten die TSI-PRM nicht den Zugang zu Speisewagen in Zügen. Auch obliegt es immer noch den Mitgliedstaaten, festzulegen, welche Bahnhöfe renoviert und barrierefrei gemacht werden, also bleiben einige Bahnhöfe auf unbestimmte Zeit unzugänglich. Das ist für uns inakzeptabel, und wir arbeiten hart daran, diese Gesetzeslücken zu schließen.

4.     Gibt es irgendetwas, dass Sie zu diesem Thema noch sagen möchten?

Wie oben bereits erwähnt ist der Bahnsektor einer der am besten regulierten Verkehrssektoren auf EU-Ebene, was aus unserer Sicht nur ein Vorteil sein kann. Wir würden uns jedoch strengere Regeln wünschen, was die Barrierefreiheit von Flughäfen, Flugzeugen, dem Stadtverkehr wie U- und Straßenbahnen angeht, die derzeit nicht davon abgedeckt sind. Außerdem müssen wir den Verkehr ganzheitlich betrachten und Umsteigemöglichkeiten sowie multimodale Terminals einbeziehen, um zu gewährleisten, dass eine Person direkt von Tür zu Tür reisen kann, und das nicht nur für einen Teil der Reise. Und schließlich hat die EU noch keine kohärente Strategie zur Barrierefreiheit für alle Verkehrsmodalitäten. Wir würden gerne Barrierefreiheit als einen Hauptaspekt von Nachhaltigkeit in “Pläne zur nachhaltigen Mobilität in Städten” (SUMPs) in der EU aufnehmen und eine engere Verbindung zur städtischen Nachhaltigkeit im Allgemeinen knüpfen, um die derzeitige Salamitaktik zu vermeiden, die sich jedes Mal nur einen kleinen Teil der Verkehrskette vornimmt.
Von Antoine Fobe, Leiter für Kampagnen der EBU