Eine Demokratie ist gar keine Demokratie, wenn sie nicht für alle gilt.

Thibault ging zu einem Wahllokal in Belgien, nur um dann abgewiesen zu werden: als jemand mit einer geistigen Behinderung, wurde ihm sein Wahlrecht verweigert.

Mindaugas muss im Voraus wählen, da das Wahllokal in seiner Umgebung nicht barrierefrei ist. Er hat Glück, dass er das überhaupt kann: in vielen EU-Ländern (Portugal zum Beispiel) können Rollstuhlfahrer nicht wählen gehen, wenn das Wahllokal nicht rollstuhlgerecht ist.

Danny kann keine Debatten verfolgen oder an politischen Veranstaltungen teilnehmen, weil es keine Untertitel oder Fassungen in Gebärdensprache gibt.

Loredana und Lars können nicht selbständig wählen, weil das Wahlverfahren nicht für blinde und sehbehinderte Menschen angepasst wurde.

Der Wahlvorgang ist für Menschen mit sämtlichen Behinderungen mit Barrieren behaftet. Und das in allen Phasen: sei dies beim Zugang zu Informationen darüber, wie man wählt, zu politischen Informationen, am Wahltag selbst, ja sogar bei der Ergebnisrecherche.

Das heißt, wenn man überhaupt ein Wahlrecht hat: Es gibt noch immer 800,000 Europäer mit geistigen und/oder psychosozialen Behinderungen, denen das Wahlrecht aufgrund von antiquierten Gesetzen nicht zugesprochen wird.

Wählen ist wichtig. Durch Wahlen beeinflussen wir politische Veränderungen. Wahlen sind der erste Schritt hin zu Gesetzen, die Menschen mit Behinderungen zugutekommen.

Die Europawahlen sind der ideale Moment, den ungleichen Zugang zu Wahlen vorzuführen: 3 Tage, 28 Länder. Unterschiedliche Barrieren und Lösungen zu deren Abbau werden zugleich sichtbar.

Sie sind der Ideale Moment, um auf Veränderungen zu drängen, nicht nur in einem, sondern in 28 Ländern gleichzeitig.

Außerdem ist die Wahl zum Europaparlament wichtig! Auch wenn nur selten darüber gesprochen wird, so bringt die EU wichtige Gesetze auf den Weg und ist oft ehrgeiziger als die EU-Mitgliedsländer selbst, wenn es um die Inklusion von Menschen mit Behinderungen geht.

Sie drängt auf mehr Barrierefreiheit öffentlicher Webseiten, von Produkten, Dienstleistungen und Verkehr. Sie finanziert viele Projekte, die die Inklusion von Menschen mit Behinderungen unterstützen, sogar in den sogenannten reichen Ländern. Sie hat ein allgemeines Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz erlassen. Sie hat den Marrakesch Vertrag ratifiziert, ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die “Büchernot” blinder und sehbehinderter Menschen. Und noch viel mehr.

Daher leistet das Europäische Behindertenforum ausgiebige Kampagnenarbeit, nicht nur zu Barrierefreiheit, sondern auch dafür, dass die Inklusion Behinderter auf die Tagesordnung der Kandidaten kommt, und, ebenso wichtig, dass Behinderte Menschen (versuchen) wählen zu gehen.

Unsere Kampagne begann mit der Petition “Europawahlen für alle”, die bereits über 30,000 Menschen unterzeichnet haben. Mit der Petition wollen wir zeigen, dass es eine weitreichende Unterstützung für die Lösung dieses Problems gibt. Auch ist sie ein einfaches Werkzeug, das Problem einer breiteren Öffentlichkeit in Europa plausibel zu machen.

Ein weiteres wichtiges Sensibilisierungswerkzeug sind unsere Geschichten mit dem Titel “Wähler Europas”. Es gibt uns konkrete Beispiele, um politischen Entscheidungsträgern erklären zu können, wie Menschen von ihrem (Nicht)Handeln betroffen sind.

Auch haben wir Richtlinien für politische Parteien für barrierefreies kommunizieren veröffentlicht. Diese Richtlinien, die unter anderem auch die Forderung nach barrierefreien Bildbeschreibungen, Audiodeskription für Videos sowie Dokumente in Brailleschrift und Großdruck beinhalten, gewährleisten, dass Parteien wissen, was sie konkret für mehr Barrierefreiheit tun können.

Auch arbeiten wir in anderen Bereichen. Wir müssen nicht nur gewährleisten, dass es einen gleichberechtigten Zugang bei Wahlen gibt, wir müssen außerdem sicherstellen, dass die neuen politischen Entscheidungsträger die Forderungen der Behindertenbewegung verstehen. Deshalb verbreiten wir das Versprechen “EU für Behindertenrechte”. Darin werden neue Europaabgeordnete aufgefordert, sich zur Inklusion Behinderter zu verpflichten, indem sie Teil der interfraktionellen Arbeitsgruppe für Behinderte werden: eine informelle Gruppe Europaabgeordneter, die für Behindertenrechte eintreten.

Das ist auch für barrierefreie Wahlen wichtig, da der Kampf alles andere als gewonnen ist und es in den kommenden Jahren andauernder Aktionen bedarf.

Schließlich kommen wir zum letzten und wichtigsten Punkt: Wahlbeobachtung. Wir müssen wissen, was nicht funktioniert, damit wir wissen, wo Änderungsbedarf besteht. Deshalb brauchen wir Ihre Geschichten! Helfen Sie uns, indem Sie das Hashtag #DisabilityVote in den sozialen Medien nutzen.

Wahlen sind die Essenz der Demokratie.  Aber Wahlen müssen unter unserem Motto stehen: Nichts über uns ohne uns. Deshalb müssen wir wählen und, falls wir dazu nicht in der Lage sind, müssen wir uns beschweren, protestieren, viel Wirbel darum machen.

Helfen Sie uns dabei, die #DisabilityVote für alle Wirklichkeit werden zu lassen.

Von André Felix, Europäisches Behindertenforum

Das Europäische Behindertenforum ist eine Dachorganisation von Menschen mit Behinderungen, die die Interessen von über 80 Millionen Europäern mit Behinderungen vertritt. Wir sind eine einzigartige Plattform, die Vertreterorganisationen von Menschen mit Behinderungen aus ganz Europa zusammenbringt. Wir werden von Menschen mit Behinderungen und ihren Familien geführt. Wir sind eine starke, vereinte Stimme von Menschen mit Behinderungen in Europa.